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Sechs Thesen zur Reform des deutschen Gesundheitswesen, 2003 (Auszüge)

"Damit Reformbemühungen nicht wieder Stückwerk bleiben, sondern auch mittel- und langfristig noch tragen, müssen die Weichen wie folgt gestellt werden:

  1. Kein Gesundheitswesen in der Welt kann mit begrenzten Mitteln für unbegrenzte Leistungen sorgen. An dieser Tatsache kommt niemand vorbei. Jeder Gesundheitspolitiker, der als vernünftig gelten will, muss sich angesichts steigender Beitragssätze daher zu der Erkenntnis durchringen: Von der Vollversorgungsmentalität nach dem Grundsatz "Alles für Alle" müssen wir uns in der GKV endgültig verabschieden. Es führt kein Weg daran vorbei, den Leistungskatalog der GKV kritisch zu überprüfen: Was ist auch künftig solidarisch zu leisten und kollektiv zu finanzieren - und was sollte der einzelne Versicherte privat bezahlen? Über das Verfahren, die GKV-Leistungen den künftigen Erfordernissen anzupassen, kann und muss man wahrscheinlich streiten. Es liegen unterschiedliche Konzepte vor, die eingehend erörtert werden sollten. Entscheidend ist, dass von vornherein festgestellt wird, wer bei der schwierigen Neuabgrenzung des GKV-Leistungsbereichs die verantwortlichen Akteure sind, nämlich: Der Gesetzgeber, die Selbstverantwortungsorgane der GKV und die große Gemeinschaft der Versicherten. Diese drei Akteure sind gehalten, ihre Interessen und Aufgaben im Zusammenwirken verantwortungsbewusst wahrzunehmen. Wenn dieses Zusammenwirken gelingt, ist ein gutes Stück der Reformaufgabe erledigt.
  2. Auch künftig muss es darum gehen, vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven in der GKV zu erschließen und nutzbar zu machen. Das in der Vergangenheit verwendete Instrument der Budgetierung hat sich jedoch als untauglich erwiesen, da es nicht den Wirtschaftlichkeitsgrad hob, sondern zu Leistungsverweigerung, zur Unterversorgung und zur Zwei-Klassen-Medizin führte. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verdient Wettbewerb mit solidarischem Ausgleich eindeutig den Vorzug vor staatlichem Interventionismus. Voraussetzung eines wirkungsvollen Wettbewerbs ist allerdings, dass die Gestaltungsmöglichkeiten für die Beteiligten erweitert werden und das eigene Interesse an Effizienz und Qualität der Leistungserbringung zum Zuge kommen kann. Effizienzfördernder Wettbewerb um verbesserte Versorgungsstrukturen, höhere Versorgungsqualität und niedrige Preise verlangt die innovative Öffnung des Anbieterbereichs. Dabei ist es zweckmäßig, die Verpflichtung der einzelnen Krankenkassenarten zu einheitlichem und gemeinsamen Handeln und die Bindung an das Vertragsmonopol der Kassenärzlichen Vereinigungen zu lockern.
  3. Eine grundlegende GKV-Reform erfordert, das bisher angewandte Finanzierungsverfahren zu überprüfen und Änderungen anzubahnen. Die Finanzierung der GKV erfolgt bisher überwiegend über die Bindung an die Arbeitseinkommen, also Löhne und Gehälter, was sich grundsätzlich bewährt hat. Die Bezugsgröße "Lohn" ist aber den Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und der Beschäftigung unterworfen und führt daher-hohe Arbeitslosigkeit!-zu niedrigen Zuwächsen bei den Beitragseinnahmen der Krankenkassen. Anders verhält es sich mit beschäftigungsunabhängigen Einkommensarten, etwa den Einkünften aus Kapitalvermögen, die jedoch nicht für die Beitragsbemessung herangezogen werden. Es ist daher zu prüfen, ob andere Einkünfte der Versicherten für die Finanzierung der GKV zu erschließen sind. Hier geht es auch um die Gerechtigkeit bei der Zuordnung von Beitragslasten. Ist denn einzusehen, dass ein Versicherter, der außer seinem Gehalt noch zusätzliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Zinsen und Dividenden hat, genau den gleichen Beitrag entrichtet wie ein Versicherter, der allein Gehalt bezieht? Die Erfassung weiterer Einkunftsarten für die Beitragsbemessung der GKV sollte natürlich nicht als "Überfall" vollzogen werden; vielmehr empfiehlt es sich, schrittweise und in einem langen Zeitraum vorzugehen und z. B. Freibeträge vorzusehen. Je nach dem, was man hier plant, kommt auch der Gedanke in Betracht, dass eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu einer verringerten Beitragslast aller Versicherten führen könnte. In dem Zusammenhang ist ein Blick auf die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) aufschlussreich: Noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts deckten die Rentner etwa 90 Prozent der KVdR-Leistungen durch eigene Beiträge; in den 90er Jahren waren es nur noch gut 40 Prozent. Das heißt: Die KVdR wird in erheblichem Umfang durch die allgemeine GKV alimentiert und führt deshalb dort zu entsprechend hohen Beiträgen. Das ist im Grundsatz Ausdruck selbstverständlicher Solidarität zugunsten der Alten. Zu fragen bleibt allerdings, ob das große Ausmaß der Subventionierung der KVdR auch dort eine Erweiterung der Bemessungsgrundlage bei den Pflichtversicherten erforderlich macht.
  4. Bei der bevorstehenden Reform der GKV muss Entscheidendes zur Verstärkung der Prävention getan werden! Erst ein Gesundheitswesen, dass dafür sorgt, Menschen so lange wie möglich gesund und leistungsfähig zu erhalten, verdient seinen Namen. Politiker haben hier die Aufgabe, die Prävention zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu machen und sie als solche in der Öffentlichkeit zu vermitteln. Dafür sind ein ressortübergreifendes Aktionsprogramm "Prävention" und Strategien zur Bündelung von Präventions-Ressourcen zu entwickeln - eine Aufgabe nicht allein für den Bund, sondern ebenso für Länder und Gemeinden. Auf den Bund wartet allerdings wegen seiner Gesetzeskompetenz die Aufgabe, die unterschiedlichen Präventionsbegriffe miteinander zu verknüpfen und sie in einem Präventionsgesetz (SGB XII) wirkungsvoll zu ordnen. Außerdem muss der Gedanke vermittelt werden, dass Prävention für den einzelnen Menschen lohnend ist - und zwar nicht nur durch einen Zugewinn an Gesundheit, sondern auch in Form finanzieller Anreize für gesundheitsbewußte Lebensführung (Bonussysteme). Das reformpolitische Interesse sollte auf ein durchgehendes Anreizverfahren in der GKV gerichtet sein, etwa durch Ermäßigung von Zuzahlung, von Beitragssätzen oder durch Beitragsrückgewähr bei gesundheitsbewusstem Verhalten.
  5. Die Reform des Gesundheitswesens darf sich nicht auf die GKV beschränken, sondern sollte auch die gesetzliche Pflegeversicherung erfassen. Was Anfang der 90er Jahre für eine eigenständige Pflegeversicherung sprach, scheint heute nicht mehr durchschlagend zu sein. Jedenfalls kann man heute unbefangen für eine Zusammenlegung von GKV und gesetzlicher Pflegeversicherung werben, weil eine GKV-Reform neue Möglichkeiten des Zusammenwirkens eröffnet.
  6. Die Europöische Union wächst immer mehr zusammen, so dass es gilt, die Vorteile des europäischen Binnenmarktes sinnvoll und ohne unerwünschte Einbußen an Solidarität allen Bürgern auch im Gesundheits- und Pflegebereich zukommen zu lassen. Deshalb muss der deutsche Gesetzgeber alle erforderlichen Schritte tun, damit deutsche Versicherte einen verbesserten Zugang zu europäischen Gesundheitsdienstleistungen erhalten. Außerdem sind alle Reformansätze für die GKV den Bedingungen des EU-Rechts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzupassen, damit das deutsche Gesundheitswesen "europafest" wird."

 

 

 

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